Soweit ich es heute, im Nachhinein, erkennen kann, benutzte die Göttin mich als Ihr Werkzeug zum ersten Mal, als ich in einer
Höhle oberhalb des Puerto de Tazacorte auf der Kanaren-Insel La Palma Hausaltäre und Sakrale Objekte für Sie baute.
Damals hatte ich nur eine sehr nebelhafte Vorstellung von Ihr, ich wusste nur, dass Sie Lilith heisst und eine Göttin
ist, ohne mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, ich war ja mit der Produktion von Kunstwerken im religiösen Stil beschäftigt.
Aber als ich dann an der Arbeit für den >Hausaltar für Lilith< war unter dem Konzept, nur Dinge zu verwenden, die
andere Leute weggeworfen hatten, oder die ich gefunden und aufgelesen hatte, ohne zu wissen warum und wofür, sind zwei Dinge
geschehen:
Erstens: Ich habe gelernt, auf eine - nicht meine - Innere Stimme zu hören, ihr zu vertrauen und ihr zu gehorchen. Die
Stimme hat mich Schritt um Schritt durch die Arbeit geführt - ich hatte keinen Plan und nicht die geringste Vorstellung davon,
wie das fertige Werk aussehen soll. Die Stimme hat mich immer und ohne Umwege dorthin in der Landschaft geführt, wo ich genau
das fand, was ich für den nächsten Arbeitsschritt brauchte. Manchmal hatte ich auch einfach keine Ahnung, wie die Arbeit weitergehen
soll. Dann bin ich, der Stimme folgend, irgendwohin spazieren gegangen, und habe dann das Stück Material gefunden, das mich
völlig logisch zum nächsten Schritt führte. Ich habe nie gesucht, ich habe immer gefunden.
Zweitens: Ich habe angefangen, den Unterschied zwischen Fantasie, Vorstellungskraft (oder Imagination), Inspiration und
dem, was ich Heiss-Draht-Inspiration nennen will, zu verstehen. Ich hatte immer eine überquellende Fantasie, und ich kann
mir leicht Dinge, Figuren und Geschehnisse vorstellen, drei-dimensional und in Farbe. Aber Inspiration ist etwas völlig anderes,
weil sie immer mit einem Spirituellen Universum verbunden ist, und Heissdraht-Inspiration ist wie ein Besessen-sein von einer
Kraft-Grösser-Als-Ich. >Ich< bin verschwunden und mein Körper mit all seinem Wissen und Fähigkeiten lebte und arbeitete
wie im Traum, fast ohne zu essen oder zu schlafen, und als ich nach etwa sechs Wochen wieder aufgewacht bin, da stand es:
der >Hausaltar für Lilith<, ein anfassbares Duplikat von dem, was der Besitzende Geist mir befohlen hatte zu bauen.
Und damals, und auch heute noch sage ich: >Habe ICH wirklich dieses Ding gemacht? Es ist perfekt.!<
Die Arbeit hatte natürlich einen heftigen Rückschlag auf mich: Das erste Mal in meinem ziemlich langen Leben habe ich
das Spirituelle Universum wirklich ernst genommen und habe es mir so zu eigen gemacht, dass es jetzt mein ganz persönliches
Spirituelles Universum ist. Bis dahin war es nicht mehr als ein nettes Gedankenspiel, das mich mit guten Ideen für Kunstwerke
versorgt hat.
Heissdraht-Inspiration kann auch Channeling genannt werden, ein Wort bei dem ich immer noch eine Gänsehaut kriege, obwohl
ich offensichtlich ein Opfer dieses Phenomens war und immer noch Schwierigkeiten habe, es zu akzeptieren. Aber auf der anderen
Seite: Ich liebe es. Wenn meine Göttin den Heissen Draht zu mir spinnt, lebe ich in Bliss, wenn nicht, bin ich >nur<
glücklich, was für mich ziemlich genau den Unterschied zwischen Imagination und Inspiration definiert.
Als die Periode der Sakralen Objekte vorüber war, bin ich zu meinem ursprünglichen Medium Tusche und Aquarell auf Papier
zurückgekehrt. Ich hatte einen dicken Stapel gutes Papier, und weil ich gerne in Serien arbeite, hatte ich mir vorgenommen,
eine Serie von sechzehn tanzenden Mädchen zu malen - vier für jedes der vier ElementarHäuser - geschmückt mit Schleiern und
Spitzen und Juwelen, um das künstlerische Problem von schwarzer Spitze auf weisser Haut zu üben, mit einigen klaren Farben
zur Dekoration. Das jedenfalls war, was ich dachte.
Ich habe die Serie angefangen, aber nie vollendet. Das erste Blatt der Serie wurde später die Tänzerin der Luft, ein anderes
Blatt aus der Serie wurde die Tänzerin des Feuers. Aber dann kam die Vision für Lucifera so heftig dazwischen und wollte gemalt
werden, dass ich mich nicht verweigern konnte. Und so ist das immer weitergegangen, eine Vision nach der anderen, ohne inneren
Zusammenhang, ohne Reihenfolge, die ich erkennen konnte, ohne dass ich wusste, dass daraus einmal ein Deck mit 88 Karten werden
wird.
An dieser Stelle will ich erklären, wie der Prozess des Malens der Bilder, aus denen später das Deck wurde, für mich verlief:
Zuerst wurde mir eine Vision in die Vorstellung gesendet, aus dem Nichts, wie ich dachte. Manchmal war die Vision so klar,
dass ich sie einfach auf das Papier projezieren und Linien drum herum ziehen konnte. Manchmal war die Vision sehr offen, mit
vielen Möglichkeiten der Gestaltung, mehr eine generelle Idee als eine Vision. Dann bin ich stundenlang auf dem schwarzen
Strand von Tazacorte hin und her gelaufen und habe die Idee so lange vor meinem inneren Augen gedreht und gewendet, bis sie
zu einer Vision wurde, die mir malbar erschien. Dann bin ich nach Hause in meine Höhle gegangen und habe angefangen zu zeichnen,
sehr neugierig, um das auf dem Papier zu sehen, was ich bisher nur im Kopf gesehen hatte.
Ich beginne jedes Bild mit einer sehr genauen Bleistift-Zeichnung, als Linien-Zeichnung ohne Schattierungen. Auf diese
Weise kann ich verändern, korrigieren und verbessern so viel wie mir nötig erscheint. (Zwei Drittel meiner Kunst liegen als
Radiergummikrümel unter dem Tisch). Dieser Schritt dauert am längsten, hier wird mir gesagt, was ich zu tun habe: dieses Detail
verändern, woanders hinschieben, damit Platz ist für ein anderes Detail, dass später durchgegeben wird - kurze, non-verbale
Befehle ohne Begründung oder Erklärung, die immer wieder meine Fähigkeit zu hören, zu vertrauen und zu gehorchen auf die Probe
stellen. Das ist auch das Stadium, wo ich die Farben auf der Bleistift-Zeichnung sehe, deshalb zeichne ich keine Schattierungen.
Dann ziehe ich die Zeichnung mit schwarzer Tusche nach. Das geht schnell, ist aber eine Arbeit, die ich immer noch scheue,
weil sie hohe Konzentration erfordert, denn ein falscher Strich ist nicht mehr zu korrigieren. Und in dieser Arbeit gibt es
>falsche< Striche, die Göttin verdient und fordert Perfektion innerhalb meiner Möglichkeiten, die Sie sehr hoch einschätzt,
denn Sie hat mich mit dem Hausaltar für Lilith zum Meister ernannt. Deshalb bin ich immer sehr froh, wenn ich damit fertig
bin, denn jetzt kommt das beste von allem: Alle Bleistiftstriche ausradieren (wie gesagt: Zwei Drittel meiner Arbeit ...)
und die Farben einfüllen.
Wenn ich male, lege ich eine dünne Schicht Farbe an, lasse sie trocknen und lege die nächste Schicht darüber, und die
nächste, wenn es nötig ist, manchmal fünf Lagen übereinander, um höchstmöglich Transparenz und Intensität zu erzielen. Dabei
bin ich ziemlich unaufmerksam für das was ich tue. Meine Augen und meine Hände laufen auf Halb-Automatik, gesteuert von den
emotionalen und symbolischen Werten der Farben, von den Fähigkeiten, die ich mir im Lauf meines Lebens angeeignet habe, und
von den Farben, die ich auf der Bleistift-Zeichnung gesehen hatte. Das lässt mir - Seele - die Freiheit, auszusteigen und
mit der Quelle des Bildes in Verbindung zu treten, um nach Erklärungen zu fragen, oder einfach nur den Mund zu halten und
zu hören, was die Quelle mir über das Bild zu sagen hat.
Und dann, meistens abends, wenn es zu dunkel war, um zu malen, habe ich das aufgeschrieben, was ich über das Bild erfahren
hatte, um es mir selbst zu erklären, als würde ich das Bild einem Fremden erklären - ich sage es noch einmal: Ohne zu wissen,
dass Du es irgendwann einmal lesen wirst. Bei dieser Arbeit habe ich mir nichts ausgedacht. Wenn mir zu einer Karte nichts
eingefallen ist - oder gesendet wurde - dann eben nicht, und deswegen gibt es manchmal Lücken im Text, und das sind die Räume
für Deine eigenen Gedanken.
Es ist meine Gewohnheit, die fertigen Bilder einer Serie auf dem Fussboden meines Ateliers auszulegen, um mich an meiner
Arbeit zu erfreuen, und sie in Gruppen zu ordnen, die einen inneren Zusammenhang haben, oder die einfach nur gut nebeneinander
aussehen. Dabei ist mir langsam klar geworden, dass ich ein Karten-Deck baue mit einem System, das ich noch nie in den alten
und neuen Religionen, in Esoterika und New Age Werken gesehen hatte. Ich habe dann die fertigen Bilder nach diesem System
geordnet, habe die fehlenden Karten im System gesehen und die Visionen, wie ich sie auszufüllen habe. Dabei habe ich gelernt,
das System immer besser zu verstehen. Aber wie gesagt, das war ein sehr langsamer Prozess.
In der Zwischenzeit hatte ich La Palma verlassen und lebte auf der Hawai'i-Insel Kaua'i. Nach drei Monaten Gewöhnungszeit
hat die Heiss-Draht-Inspiration wieder angefangen, derartig intensiv, dass ich manchmal gejammert habe, die Quelle soll ein
bisschen langsamer machen, weil ich nicht mehr nachkomme, aber bloss nicht aufhören, weil das für mich der wahre Sinn und
Inhalt meines Lebens ist. Und jetzt hatte ich wirklich gelernt, ohne Rückfragen zu gehorchen, ich habe also keine Fehler mehr
gemacht und ich brauchte keine Skizzen mehr.
Und dann, im Februar 2005, hat die Göttin mir Ihren vollen Namen gegeben, und seitdem erst ist Sie wirklich real für mich.
Ich war mit einer jungen Frau auf einer Campingtour im Berg-Dschungel von Kaua'i, als wir auf ein verlassenes Camp lokaler
Wildschweinjäger gestossen sind, auf einer Bergrippe zwischen zwei tiefen Tälern, mit einer langen Schaukel, die von einem
dieser unendlich hohen Bäumen herunter hing. Nachdem ich das Camp und die Feuerstelle ein bisschen hergerichtet hatte, und
die Frau auf der Schaukel vor sich träumte, habe ich mein Skizzenbuch ausgepackt, um diese ein bisschen kitschige, aber völlig
reale Szene zu malen. Mitten drin hat die Göttin, ohne dass ich es merkte, meine Hand geführt, um zu schreiben: >AboraMana<,
in einer sehr einfachen Schrift - und das war's dann. Da war Sie, lebendig und real, Ihr Name in unserem Zeitalter zum ersten
Mal aufgeschrieben.
Lob und Dank für AboraMana, Göttin des Lebens, der Liebe und der Schönheit.
Als ich dann dachte, die Arbeit an den Bildern sei fertig, habe ich sie zum ersten Mal ausgedruckt. Jetzt endlich konnte
ich sie alle in ihrer richtigen Reihenfolge in ihren richtigen Gruppen auslegen, mich daran erfreuen und das System studieren.
Und ich habe angefangen, sie anderen zu zeigen, um ihre Reaktion darauf zu erfahren. Weil die Reaktion der Männer fast immer
einen leicht sexistischen Unterton hatte, habe ich mir vorgenommen, sie nur für Frauen zu legen und zu lesen, so gut wie ich
es verstehe.
Und weil ich nun nicht anderes mehr zu tun hatte, habe ich in mein Skizzenbuch eine Serie von vier weiblichen Fantasie-Figuren
und eine Hawai'ianische Fantasie-Hula-Tänzerin gemalt. Aber dann hat sich die Göttin beschwert, dass jedes Elementar-Haus
eine Tänzerin hat, aber Sie nicht, und dass Sie die Hula-Tänzerin, die ich Mutter Kaua'i genannt hatte, für sich beansprucht.
Das ist jetzt die Tänzerin für AboraMana, was wirklich sinnvoll ist.
Und wieder dachte ich, jetzt bin ich fertig mit dem Deck.
Aber dann sagte Sie mir, dass Frauen Kampfgeist brauchen, um für sich selbst und die Göttin einzutreten, und dass ich
die vier Fantasie-Figuren, die ich Gryffa, Kentoura, Minataura und Sphinga genannt hatte, dafür nehmen muss. Und auch das
ist vollkommen sinnvoll. Und weil Kampfgeist und Schicksal sehr dicht zusammenhängen, musste ich noch drei Karten malen. Und
jedesmal, wenn ich dachte, ich sei fertig mit dem Deck, kamen neue Karten dazu. All das kam in kurzen, intensiven Schüben,
weil ich jetzt endlich verstanden hatte, womit ich eigentlich beschäftigt bin.
Wie die Tänzerin und die Bilder für die Kriegergöttin hatte ich einige Bilder aus anderen Gründen gemalt, einfach nur
aus Lust und Laune, oder auch zweckgebunden. Die Devi of Orchid (Devi der Orchidee) war ein Tattoo-Design für die linke Schulter
eines Mädchens, die Devi of Coral (Devi der Koralle) war eine Illustration für eine Geschichte von Clark Ashton-Smith, die
ich schon einmal im Grossformat in Acryl gemalt hatte, und die auch auf dem Hausaltar für Lilith erscheint.
TreeDweller (Baumbewohner) war ein Entwurf für ein Plakat im alten Stil, das ich in Acryl malen wollte, und Ancestors
(Die Ahnen) war eine Skizze für ein Wandbild, nur zum Beispiel. Aber sie alle haben so glatt in das Deck gepasst, dass ich
glaube, sie waren Trainingsübungen, um mich auf die Hauptarbeit vorzubereiten, genau wie ich jetzt, im Nachhinein, glaube,
mein ganzes Leben sei eine Vorbereitungszeit dafür gewesen.
Ich hatte nie einen Plan, wieviele Karten es letztendlich sein sollten, und ich habe sie nie gezählt. Ich einfach nur
so viele gemalt, wie nötig waren, um das System des Decks visuell zu verdeutlichen. Dass es jetzt 88 Karten sind, ist ohne
meine Absicht geschehen.
Kapa'a Kaua'i VollMond Mai 2007
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